Maximal mobil

Tradition & Handwerk: Laichinger Büroprofi Stäudle macht Möbel mobil

Stäudle-Chef Jürgen Rieck denkt schwäbisch: Das Möbelsystem des Laichinger Tüftlers spart Platz und schont Ressourcen. Mit vier Basisplatten gestaltet er ein komplettes Büro.

Aus Sessel wird Tisch, aus Schreibtisch eine Garderobe. Mit nur vier Holzplatten als Basis (und einer Handvoll Verbindungselementen) zaubert Jürgen Rieck eine komplette Einrichtung für Arbeitszimmer, Büros und Geschäftsräume. Sollte dann irgendwann eines seiner genialen Möbelstücke mal zwischengelagert werden, benötigen seine Baukastenelemente – mit wenigen Griffen gelöst – kaum mehr Platz im Keller als ein an der Wand gelehntes Fahrrad.

Die Idee zu diesem „einfachen, simplen Möbel für die Arbeitswelt“, wie Rieck formuliert, reifte bereits 2019. Viele Firmen haben ein Problem: Mitarbeiter wechseln, Zuständigkeiten ändern sich. Entsprechend oft variiert die Anforderung an das Mobiliar. Doch wohin mit nicht mehr benötigtem Inventar, woher eine neue Einrichtung nehmen? Ein halbes Jahr später stand die Antwort dieser Fragen als Prototypen im Ausstellungsraum seiner Firma „Stäudle“, dem 1899 gegründeten Familienunternehmen: Schreibpult hoch, Schreibtisch klassisch, geselliger Zweisitzer oder bequemer Sessel, Hochcontainer, Regal oder Garderobe, sogar Zwischenwände, ein kleiner Ecktisch oder ein Schiebewägelchen mit Präsentationstafelhalter – dies alles lässt sich aus den vier hölzernen Grundplatten gestalten (siehe Bildmitte oben).

Den Laichingern ist der „Stäudle“ wegen seiner über 100-jährigen Präsenz auf dem Marktplatz wohlbekannt. Begonnen hatte die Unternehmung als Buchbinderei. Es folgte ein Schreibwarengeschäft, Stift und Papier für die Schule. Das Zeitalter der Schreib- und Rechenmaschinen professionalisierte das Sortiment. Stäudle avancierte zur ersten Adresse für Büro, Drucken und Kopieren. Heute reicht der Kundenstamm weit über die schöne Schwäbische Alb hinaus. Das Know-how bei Themen wie Einrichtung, Stil, Ergonomie und Geschmack stehen hoch im Kurs, noch mehr aber Lösungen aus dem Stäudle-Systemhaus zu Computer, Netzwerke und Kommunikationsanlagen.

Das forsche Tempo, mit der die Möbelidee Gestalt annahm, ist Riecks Arbeitseifer geschuldet. Doch wie so oft im Leben hatte im weiteren Verlauf auch die Göttin Fortuna ihre glückliche Hand im Spiel: Die Fiktion kaum zu Ende gedacht, erhellte sie bereits 2020 die Realität. Wie es der Zufall will, sollte die alte Turnhalle der „Hochschule Nürtingen für Wirtschaft und Umwelt“ renoviert und umgewidmet werden. Ein moderner Lernraum war geplant, in dem Studierende ihre Kreativität alleine und in der Gruppe entfalten können. Der zuständige Innenarchitekt suchte bei Stäudle schlichten Rat und Tat. Nach Hause aber ging dieser mit einem Kopf voller Visionen: Er hatte ganz beiläufig Riecks Prototypen entdeckt. Folge: Die Hochschule gab 32 Workstations in Auftrag. So zogen die ersten Verwandlungskünstler bereits 2021 aus der Theorie hinaus in die Praxis, von der Schwäbischen Alb hinab ins Neckarstädtchen, um auf nachhaltigste Art den Nürtinger Lernwilligen fortan den geistigen Freiraum zu rahmen.

Bei der großen Vielfalt der einzelnen Möbelstücke fällt es schwer, zu glauben, dass dieses System einzig auf einer 74 mal 148 Zentimeter großen Birke-Multiplexplatte basiert, ergänzt von ein- und zweifach halbierten Segmenten (großes Foto oben). Dieses Kantenmaß der multifunktionalen Möbelelemente ist ebenso der Abfallvermeidung geschuldet wie das gesamte Konzept. Denn aus der standardisierten Rohplatte von 300 mal 150 Zentimetern kann sein Schreiner exakt vier Tafeln heraussägen, ohne unnötigen Verschnitt. Denn Abfall ist eines der Umweltthemen, die der modernen Gesellschaft am Ende ebenfalls auf die Füße fällt wie heute schon augenfällig die Klimaerwärmung.

Zwar liegt Deutschland laut Welt-Abfall-Index 2022*, der die größten Siedlungsmüllproduzenten der Welt listet und bewertet, auf einem vorzeigbaren dritten Platz. Grund: Die umfassende Analyse der Abfallwirtschaft in 38 Ländern bescheinigte der Republik eine in Europa höchste Recyclingquote (68% in 2017**) und geringen Anteil der Deponierung (2% in 2017**). Dagegen allerdings steht, dass die unbewertete (absolute) Siedlungsmüllmenge mit 632 Kilogramm pro Kopf als zehntgrößte rangiert. Die Bundesbürger treten täglich überdurchschnittlich viel, etwa 1,73 Kilogramm, in die Tonne.

Im Bundesländervergleich spielt Baden-Württemberg die Rolle als Musterländle wieder einmal perfekt: Nur 146 Kilogramm Haus- und Sperrmüll pro Kopf bescheinigt das Statistische Bundesamt für das Jahr 2020. Zum Vergleich: Beim Schlusslicht Hamburg landen satte 260 Kilogramm im Müll***. Ob dieser Teilerfolg der schwäbischen Sparsamkeit geschuldet ist oder dem sprichwörtlichen Erfindergeist, wird hier wohl nicht geklärt. Nur soviel: Aus Sessel wird Tisch, aus diesem Tisch keinesfalls Sperrmüll, so will es die Rieck’sche Möbelidee.

* Welt-Abfall-Index ermittelt von Sensoneo, dem Spezialisten intelligenter Abfallmanagementlösungen; ** Europäisches Parlament; *** Statistisches Bundesamt

Sparen ist Trumpf: Weniger Abfall, weniger Platz, weniger Transportkosten – aber dafür maximale Vielseitigkeit. Ein bisschen wie Legoland fühlt sich das Möbel-Baukastensystem an, mit dem Jürgen Rieck aus Laichingen die Bürowelt inspirieren will.

 


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Printausgabe: Sphäre 1/2023, Seite 38-39

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