Familien-Ministerin

Tradition & Handwerk: Familienbetrieb als krisensicheres Gastro-Modell

Gastronomie ist heute voll durchorganisiert. Logistik, Technik und knallhartes Management. Doch gibt es sie noch – die Familie, die hinterm Herd Großmutters Rezepte kocht.

 

Vier Kinder, fünf Enkel, entsprechend viel Schwiegersöhne gibt es, die auch mal anpacken – im Adler, der in Eglingen schon über 200 Jahre an der einzigen Straßenkreuzung die Ortsmitte markiert. Uroma Marianne drapiert anmutig Servietten und Besteck an den 70 Plätzen dieser gemütlichen Gaststube, Uropa Rudi eilt von der Geschirrschublade hinter der Theke zu seiner lieben Gattin hin und wieder zurück. Ein stilles Lächeln erhellt seine Gesichtszüge, er scheint zufrieden in seine Arbeit vertieft.

Dazwischen, darüber, daneben, im Hintergrund und an vorderster Front schneidet Doris König Zwiebeln, schöpft das Fleisch in die Schüssel, schält Kartoffeln, rührt die Soße, rennt zum Kühlraum, steckt Enkel Emma den Schnuller in den Mund, während sie mit energischem Zwischenruf den aufkeimenden Kinderstreit schlichtet. Dass sie sich daneben noch ganz entspannt unterhalten kann, sind ihre beiden Töchter gewöhnt. Sie genießen ihren Blitzbesuch in Mamas Küche bei einer dampfenden Tasse Kaffee und einem leckeren Stück selbstgebackenen Kuchen. Multitasking, das sei Frauen in die Wiege gelegt, sagt man. Doris König, heute 47 Jahre, hat schon mit 17 diesen höchst anspruchsvollen Beruf gewählt, den man durchaus mit der Umschreibung „Familienministerin“ würdigen könnte, wenn nicht eben jene Träger und Trägerinnen dieses politischen Amtes unablässig dabei wären, den traditionellen Lebensentwurf der Königs zu torpedieren.

Das sei aber kein Kinderspielplatz, entrüsten sich in schöner Regelmäßigkeit die unangemeldeten Besucher vom Wirtschaftskontrolldienst (WKD), wenn sich ihre Enkel hinter der Theke oder in der Küche tummeln. Da hilft auch nicht, dass Doris König an den Menschenverstand appelliert. Ihre Gäste freut´s – es gibt wohl doch eine schweigende Mehrheit mit Herz für Kinder. Doch die Paragraphen interessiert nicht, dass schon vor 25 Jahren die Babies im Laufstall in der Küche mit Mama brabbelten. Zu eisernen Ketten geschmiedete Regeln wissen nichts von Kinderaugen, die mit angeborener Neugier das pure Leben erblicken wollen, die Kraft in der Arbeit der Eltern spüren, die Werkzeuge, die Fertigkeiten bestaunen und nachahmen wollen. Kinder lernen ständig – und im Adler besonders viel. Das war schon immer so, nicht nur zu Großmutters Zeiten.

Doris König ist aufgewachsen, als traurige Kinderaugen auf Plakaten mahnten: „Ich bin ein Schlüsselkind“. Kindererziehung sei eine der anspruchsvollsten Lebensaufgaben, warb die Regierung für das Familienglück. Müttern, die diesen schwierigen Job ernst nahmen, legte niemand Stolpersteine in den Weg. Seinerzeit blickte der Westen mit Häme auf das Gesellschaftsmodell im Osten. In den DDR-Kinderkrippen werden Kinder enteignet, so sagte man, zur staatlich korrekten Erziehung. Und was passiert 22 Jahre nach der Wiedervereinigung? Ganztagsschulen, Kinderkrippen auch im Westen, die Erziehung wird neudeutsch outgesourct, ausgelagert, die Industrie braucht Humankapital. Menschen, Mütter und Väter, die sich in unselbständiger, voll versicherungspflichtiger Arbeit zum Wohle der überschuldeten Staatskassen wohler fühlen als am, wie Zyniker zerrbildhaft formulieren, „heimischen Herd.“

Doris König steht am heimischen Herd und dies mit Leidenschaft. Gerade kommt ihr Gatte herein und ruft: „Ist der Vesperteller schon fertig? Einmal Käsekuchen.“ Rudolf König (Foto in der Diashow unten) steht meist abends hinter der Theke, denn am Tag muss er raus aufs Feld. 50 Hektar treibt er um, ein Betrieb mittlerer Größe. „Ab 130 Hektar“, sagt er, könne man von der Landwirtschaft leben. Die traditionelle Familienpolitik sichert das Überleben des in der dritten Generation geführten Gastbetriebes.

Dieser „Königsweg“, diese einfachen, aber urgemütlichen Gaststuben mit Herzlichkeit und Sinn für guten Geschmack sind ein Stück ungekrönte Schwäbische Alb. Für deren Stammtische gibt es keine Auszeichnung, noch Gütesiegel, obwohl sie das gesellschaftliche Rückgrat bilden, die Albgemeinden zusammenschweißen, ebenso wie das Kirchlein im Dorfe.

Doch Familie König bleibt bescheiden und freut sich über den herbstlichen Hochbetrieb. Obwohl Eglingen abseits der Lautertal-Tourismuswege liegt, finden viele Gäste hierher. Warum? „Stammgäste“, lacht die Wirtin, „viele waren schon als Kinder bei uns.“ In Zeiten von Fleischtransporten rund um den Globus fühlen sich die Gäste vor Königs Tellern irgendwie daheim. Sie wissen: „Die Erdäpfel für den leckeren Kartoffelsalat kommen vom Königsacker, das Rind- und Schweinefleisch aus dem Königsstall. Auf der Speisekarte steht nur Königliches, am Schlachttag: Leber, Rinderzunge, Siedfleisch und natürlich gesundes Wild, weil natürlich gelebt, aus der königlichen Heimat – ihrer Schwäbischen Alb.

Tradition und Handwerk: Gastronomie wie zu Großmutters Zeiten

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Printausgabe: Sphäre 3/2012, Seite 06-07

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